Timmy und Tommy – zwei Turmfalkenküken

21. November 2016

Auch Falkner müssen mal ihr Bad renovieren - so stand ich im Juni 2016 zwischen Zementsäcken und Badewanne bis zu den Knien im Bauschutt, als ich einen Anruf vom örtlichen Streichelzoo erhielt: bei ihnen sei ein „etwas größeres Greifvogelküken“ abgegeben worden und man habe kein passendes Futter und alle Pflegestellen seien besetzt, ob ich das Tierchen nicht bitte übernehmen könne?!?

 

Nun war das Chaos in der Wohnung schon so groß, dass ein Greifvogel mehr oder weniger den Käse auch nicht mehr fett machte. Also holte ich das Küken noch am gleichen Tag ab und war etwas erschrocken, als ich ein kleines, weißflaumiges Turmfalkenküken in den Händen hielt, das nicht stehen und auch grade noch so den Kopf heben konnte.

 

Also schnell den Baustaub vom Küchentisch gewischt, Plastikschüsselchen zum Wiegen bereitgestellt und Futter von den „Großen“ abgezweigt. Gleich ein paar wenige Tropfen Aufbaupräparat übers Futter und gefüttert, bis der Kropf spannte. Unter einer Rotlichtlampe schlief der Kleine schnell ein und wurde von meinen aus der Schule kommenden Töchtern sogleich „Tommy“ getauft. Ein Pflegeplan war schnell erstellt, fünf Mal täglich wiegen und füttern waren zu vergeben.  

 

Zur Unterbringung standen eine Außenvoliere an der Flugdrahtanlage oder die große Rollvoliere im Wohnzimmer zur Verfügung – die Wohnzimmervoliere gewann wegen der besseren Verkehrsanbindung zur Küche. Natürlich standen da noch Fliesenkleber, die neue Badewanne sowie diverser Kleinkram im Wohnzimmer, sodass das TV-Gerät der Voliere weichen musste… aber mal ehrlich, wer braucht denn „Tatort“ wenn er „Tommy“ gucken kann?

 

Am nächsten Morgen war ich sehr erleichtert, dass Tommy zum einen noch lebte (er war wohl aus einem Nest hoch oben in einer Tanne gefallen, da hätte er auch innere Verletzungen haben können) und zum anderen deutlich munterer war als am Vortag. Also wieder wiegen und füttern. Mittags, kurz vor dem Verlegen der Kaltwasserleitung kam dann der zweite Anruf: „Hallo, wir haben noch ein Küken bekommen… aus dem gleichen Nest. Könnten Sie es bitte schnell holen, es geht ihm nicht so gut…“

 

Aber klar doch. Der Haupthahn war zugedreht, der Klempner mampfte gerade sein Pausenbrot, also nix wie hin zum Streichelzoo und Nr. 2 abgeholt. Nr. 2 - gleich in „Timmy“ umbenannt - lag nur auf dem Bauch. Machte generell den Eindruck, der einem erfahrenen Falkner ein langgezogenes „Mmmmh“ entlocken würde, samt steiler Sorgenfalte über der Stirn. Aber nun war der Flaumball hier, also wiegen, Füttern mit „zum Schlucken überreden“ und ab unters Rotlicht.

 

Auch Timmy lebte noch am nächsten Morgen, wenn er auch ein paar Tage länger und deutlich mehr Pflege brauchte, um sich zu „bekrabbeln“. Am Anfang wollte er nicht richtig fressen. Fiel immer wieder um. War so schnell erschöpft. Aber wir waren wild entschlossen, ihn durchzukriegen, so lebte die Familie ab sofort nach Turmfalkenküken-Futtertakt.

 

Unter interessierter Anteilnahme der beiden Familienkatzen und des leicht genervten Familienhundes wurde fünf Mal täglich auf der Briefwaage gewogen und in kleinsten Happen gefüttert. Und Timmy kam durch. Er und Tommy nahmen stetig zu. Sie wurden schon bald richtig munter und begannen nach ca. einer Woche, die Voliere zu erkunden. Als das Rotlicht ausgeschaltet wurde, weil das Wetter doch noch in „sommerlich warm“ umschlug, wurden aus den beiden Nestlingen kleine Ästlinge, die fleißig in der Voliere unterwegs waren, über Hölzer und Steine kletterten und über erstaunliche Distanzen hinweg auf die ausgelegten Zeitungen schmelzten.

 

Schon bald zeigten sich unter den Daunen die ersten braunen Echtfedern. Nun brauchten sie kein Plastikschälchen mehr zum Wiegen, konnten frei stehen und nutzen das Wiegen öfters auch mal zum Loslaufen.

 

Wir besorgten braune Mäuse, um die richtige Futterprägung zu vermitteln. Timmy und Tommy lahnten keck alles an, was vor die Voliere trat, ob Besucher, Staubsauger oder Katze. Die beiden wurden richtig flink, was uns freute, denn wer so viel Energie hat, dem geht’s gut.

 

Bald waren die Dunen verschwunden und mit den brandneuen braunen Echtfedern folgten die ersten Übungen im Flügelschlagen. Eines schönen Tages schließlich saß Tommy als Erster oben auf dem Block und Timmy folgte einen Tag später. Nun war klar, die beiden waren bereit für die Auswilderungsvoliere.

 

Da bei uns in Großstadtnähe nicht wirklich gute Bedingungen zum Auswildern bestehen, rief ich Berthold Geis an, der sich bereit erklärte, Timmy und Tommy mit seinen anderen Pfleglingen zusammen auszuwildern. Meine Tochter Leonie und ich brachten die Turmfalken zu Berthold, der eine große Außenvoliere hat, in der die Turmfalkenpfleglinge frei fliegen können. Als sie dann alt genug waren, öffnete Berthold die Volierentür. Es gab noch zwei Wochen lang Futter auf dem Volierendach, dann machten sich Timmy und Tommy und ihre Pflegegeschwister auf, um sich eigene Reviere zu erobern…

 

Das Bad ist dann auch noch fertig geworden. Trotz Turmfalkenküken. Nächstes Jahr wollen wir die Küche renovieren. Wer dann wohl anruft? 

 

Andrea Tigges-Angelidis

Komturei Hessen