Ein etwas anderer 1. Mai-Feiertag

veröffentlicht am 10. Mai 2016

In der beizjagdlosen Zeit haben wir Falkner etwas mehr Muse, uns um alltägliche Dinge zu kümmern, auch wenn trotzdem Volieren ausgebessert werden müssen und die ersten Paare brüten. Doch auch für „gesellschaftliche Beziehungen“ bleibt etwas mehr Zeit. So hatte ich am 1. Mai-Feiertag mit Freunden eine kleine Wanderung unternommen und wollte mit ihnen einige schöne Stunden verbringen. Soweit der Plan, bis mein Handy klingelte.

 

Ein Paar, das eine Radtour unternahm, informierte mich über eine Eule, die in einem Stacheldraht festhing. Über die verständigte Polizei bekamen sie meine Nummer und baten mich um Hilfe. An solchen Feiertagen bekomme ich auffallend oft Hilfegesuche, da sich dann viele Menschen draußen in der Natur bewegen und deshalb auch öfter verletzte, junge oder hilflose Tiere entdecken. „Voller Freude“ ahnte ich natürlich schon, was jetzt kommen würde. Auf meine Nachfragen, ob sie die Eule nicht selbst befreien und zu mir nach Hause bringen könnten, bekam ich zur Antwort, dass sie sich das nicht zutrauten, aber selbstverständlich auf mich warten würden, bis ich bei Ihnen wäre. Ich hatte es geahnt und sagte mein Kommen auch zu!

 

Also zurück nach Hause gejoggt und einige Utensilien wie Karton, Schere, Notfallset usw. eingepackt. Danach bin ich zu dem ca. 15 km entfernten Ort mit meinem Pkw gefahren. Zum Glück hatte ich noch kein Bierchen getrunken, wie geplant an diesem 1. Mai. Über einen eigentlich gesperrten, nur für landwirtschaftlichen Verkehr freigegebenen „Wanderweg“ fuhr ich die letzten 2 km zu einer Wiese, wofür ich natürlich böse Blicke von unzähligen Ausflüglern erntete. Das Paar war noch vor Ort und zeigte mir die Stelle, wo sich die Eule mit ihrem Flügel im Stacheldraht verfangen hatte. In der Wiese stand das Gras ca. 80 cm hoch und nur der obere der drei Drähte war eigentlich zu sehen. In der Nähe lag ein Bachlauf mit alten Weidenbäumen und Hecken, also ein ideales Habitat für Eulen und Niederwild. Warum der Zaun aber hier stand, nur ein einziger und ca. 400 m geradeaus, ist mir ein Rätsel. Wenn es eine rund um eingezäunte Weide gewesen wäre, hätte ich es ja noch verstanden. Diesen Zaun hatte man wohl einfach stehen gelassen, weil sich der Abbau vielleicht nicht lohnte? Ich weiß es nicht und es war auch jetzt zu spät, sich darüber Gedanken zu machen. Vielleicht liest ja der ein oder andere Verantwortliche diesen oder ähnliche Berichte, handelt entsprechend und baut nicht mehr benötigte Zäune wieder ordentlich ab.

 

Als ich die Eule dann mit einiger Mühe aus dem Stacheldraht befreien konnte, da sich ihr gesamter Flügel mit den Federn verfangen hatte, erkannte ich die bei uns nicht so häufige Sumpfohreule, mit ihren unverkennbaren gelben Augen. Die Federn waren durch ihre Befreiungsversuche dermaßen im Draht verwickelt, dass ich sie nur noch mit einer Schere abschneiden konnte. Die Knochen ihrer linken Handschwinge lagen völlig frei und ihre Unterhaut war komplett eingerissen, darüber hinaus war sie total entkräftet. Das sah nicht gut aus und mir war ziemlich klar, dass hier wahrscheinlich jede Hilfe zu spät kommen würde. Doch aufgeben wollte ich nicht.

 

Ich bedankte mich bei dem Paar für ihre freundliche Meldung und Wartezeit und bot Ihnen an, dass ich sie in ein paar Tagen über den weiteren Verlauf informieren würde. Doch was sollte ich jetzt tun? Es war Feiertag und jeder Tierarzt, den ich jetzt kontaktieren würde, hätte sicher seine Freude an meinem Fundvogel, falls ich überhaupt einen erreichen würde. Also rief ich meinen Freund Dominik Fischer an, der dafür sicher Verständnis haben würde. Dominik ist ebenfalls Jäger, Falkner und, in diesem Fall das Wichtigste, im Hauptberuf Tierarzt an der Klinik für Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische am Klinikum Veterinärmedizin der Uni Gießen und auf Greifvögel und Eulen spezialisiert. Und jetzt hatte ich auch noch Glück, Dominik hatte sogar heute Notdienst und könnte die Eule sofort behandeln. Oh man, noch mal 70 km einfach bis nach Gießen donnern, na toll. Aber wieder Glück, durch den Feiertag wollte Dominiks Schwester mit ihrem Freund ihn heute besuchen kommen und könnte über einen kleinen Umweg bei mir vorbei fahren, den Vogel mitnehmen und ich hätte den Weg gespart. Also habe ich wieder ein paar Telefonate geführt und so wurde es dann gemacht. Was für ein Aufwand, wenn man bedenkt, wie viele Personen und Zeit mittlerweile aufgewendet wurden, um einer kleinen Eule zu helfen. Aber so sind wir Falkner eben - wenn wir uns mit unseren Tieren beschäftigen oder hilfsbedürftigen Tieren helfen, dann sind Zeit und Geld oft Nebensache. Was soll's, nächstes Jahr ist ja wieder 1. Mai, dann klappt es auch sicher mit meiner Wanderung.

 

Dominik behandelte den Vogel. Er gab Schmerzmittel und legte das Tier in Narkose. Nach Freilegung und Reinigung des Wundbereiches suchte er die nur noch in Fetzen herabhängenden Muskeln, Sehnen und Blutgefäße auf und setzte sie wie ein Puzzle zusammen. Als während der Operation jedoch auffiel, dass das Hauptblutgefäß, welches die Flügelspitze versorgte, irreparabel zerstört war, wurde die Operation abgebrochen. An dieser Stelle war klar, der Vogel würde nie wieder fliegen können und könnte deshalb auch nicht wieder ausgewildert werden. Dabei ist die Auswilderung immer das Ziel einer gezielten Rehabilitation von Wildvögeln, die häufig in Zusammenarbeit mit Tierärzten und Falknern geschieht. Die Verurteilung eines Tieres zum flugunfähigen Dauerpflegefall, der dem Menschen gegenüber Angst und Panik verspürt, ist dagegen abzulehnen. Solche Behandlungen von Wildvögeln werden an der Uniklinik durch einen eigens hierfür gegründeten, gemeinnützigen Verein übernommen („Verein zur Förderung der Vogelmedizin in Gießen e.V.“) und viele Mitglieder des Ordens Deutscher Falkoniere engagieren sich hierbei. 


Vor ca. 14 Tagen hatte ich einen anderen Fall. Ein letztjähriger, männlicher Mäusebussard (Terzel) war gegen ein Auto geflogen und hatte zum Glück nur eine Gehirnerschütterung. Nach ein paar Tagen Pflege wurde er mit einem Telefonring von mir versehen und wieder frei gelassen. Wieder 12 Tage später wiederholte sich das ganze erneut, diesmal endete es für den Bussard aber tödlich. Anhand der Telefonnummer wurde ich informiert und wusste nun über sein Schicksal Bescheid. Warum und wieso passiert so was? Es ist in seinem wohl Leben vorbestimmt, dass er seine alten Gewohnheiten wieder aufgenommen und nicht geändert hat - und durch die gemähten Randstreifen in Straßennähe lässt es sich natürlich leichter Beute machen.

 

Leider ist die Gefahr in unserer zivilisierten Umwelt, wie man durch diese zwei geschilderten Fälle sehen kann, sehr groß für die Tierwelt und man wird nochmals daran erinnert, dass die Wildtiere der rasanten technischen Entwicklung nicht Schritt halten können.

 

Wildtieren zu helfen, ist nicht immer einfach, sich für ihren Schutz einzusetzen, sie zu pflegen und zu hegen. Oftmals hat man sich vergebens bemüht und ist enttäuscht, wenn alle Mühe umsonst war. Aber wir Jäger und Falkner werden es immer wieder zumindest versuchen, denn die Fälle, in denen es klappt, motivieren umso mehr. Wildtierversorgung ist nicht sehr prestigeträchtig und medienwirksam, da es einfach von Jägern stillschweigend und selbstverständlich gemacht wird, ohne darüber zu berichten und ohne das Ziel „Spenden“ einzuwerben, wie es manche Tierschutzorganisationen tun. Doch auch das ist „gelebte Jagd und Falknerei“, ein Wildtier zu pflegen, zu versorgen und wieder wildbahnfähig in die Natur zu entlassen.

 

Berthold Geis

 

1. Vorsitzender Landesverband Hessen

Orden Deutscher Falkoniere