Ein „gemütlicher“ Feierabend

29. März 2020

19:33 Uhr, in wenigen Minuten ist Feierabend. Nach fast 13 Stunden Dienst höre ich meine Couch schon laut rufen. Noch schnell eine Runde Gassi gehen mit dem Hund und dann nur noch Ruhe. Da klingelt mein Handy, eine unbekannte Nummer. Gehe ich jetzt ran? Sicher wieder ein Callcenter, das mir eine Versicherung verkaufen will. Kurz überlegt und doch dran gegangen. Aus dem Hörer kommt die Stimme einer Frau: „Ich habe ihre Nummer aus dem Internet. Sie nehmen doch verletzte Greifvögel auf, oder? Ich habe hier einen verletzten Falken gefunden.“

 

Der Fundort lag zwar nicht direkt auf dem Heimweg, bedeutete aber auch keinen großen Umweg. Da kam das Angebot: „Ich kann ihn auch bringen!“ Das Angebot wurde natürlich dankend angenommen. Schnell die Adresse genannt und auf den Heimweg gemacht, mit dem Hintergedanken, es wird wieder ein Mauersegler oder Bussard gebracht. Dort trafen wir dann etwa zeitgleich ein. Die Frau hatte den Vogel in ihre Jacke eingewickelt.

 

Ein erster Blick auf den Kopf, der aus der Jacke herauslugte und es war klar: es handelt sich um einen Wanderfalken. Beim Auspacken war sofort zu sehen, dass das gesamte Brust- und Bauchgefieder voller Blut war. Ebenso die Jacke der Finderin, die sich aber nicht daran störte. Es ist schön festzustellen, dass es noch Menschen gibt, denen das Wohlergehen eines Vogels über eine verschmutzte Jacke geht.

 

Der Vogel hatte am Übergang vom Körper zum Ständer eine große Wunde, die blutete. Eine erste oberflächliche Untersuchung brachte keinen Hinweis auf irgendwelche Brüche, auch im Schnabelbereich war keinerlei Blut zu sehen. Mir war sofort klar, dass ich die Verletzung nicht selbst versorgen konnte. Also ein Anruf in der Vogelklinik der Uni Gießen, um sich beim Notdienst anzukündigen. Hier auch mal ein Dank an das dortige Personal. Nicht nur im humanmedizinischen Bereich wird ein Notdienst geleistet, auch für unsere tierischen Freunde ist immer jemand bei Notfällen erreichbar.

 

Das geplante Schweinenackensteak zum Abendessen fiel also aus. Ein Stück Brot in die Hand genommen und ab ging es, zusammen mit Vroni, die 60 Kilometer nach Gießen. Dort angekommen erwies es sich als hilfreich, dass wir uns bei der letzten ODF Hessen-Versammlung über den neuen Standort der Vogelklinik unterhalten haben. So wurde das Gebäude schnell gefunden.

 

Eine erste Untersuchung dort bestätigte die Verletzungen, Weiteres würde man aber erst nach dem Röntgen diagnostizieren können. Folglich blieb der Vogel dort und wir machten uns auf den Heimweg, wo endlich um kurz vor 23:00 Uhr die ersehnte Couch belagert werden konnte.

 

Am Folgetag nahm ich mit Dr. Dominik Fischer Kontakt auf, da mich das Verletzungsbild des Vogels interessierte. Dadurch wurde bekannt, dass der Vogel keine Brüche hatte, aber tiefe Löcher und Wunden, die vermutlich durch den Schnabel oder die Krallen einer Krähe oder eines Greifvogels entstanden sein könnten. Vielleicht hatte er kurz zuvor einen Artgenossen aus seinem Revier vertrieben?

 

Der Vogel hatte eine Infusion, Schmerzmittel, Antibiotika und ein Pilzmittel bekommen und die Wunde musste in Vollnarkose mit 10 Stichen genäht werden. Dominik hielt mich über den weiteren Heilungsprozess auf dem Laufenden und fragte nach einigen Tagen nach dem genauen Fundort des Falken. Er konnte wieder ausgewildert werden.

 

Da der Fundort ziemlich genau bekannt war, konnte Dominik ihn auch wieder an Ort und Stelle bringen. Hierzu nahm auch er ca. 70 Kilometer einfache Strecke auf sich. Die Auswilderung an dem Fundort war in diesem Fall besonders wichtig, da mir bekannt ist, dass in einem nahegelegenen Hochspannungsmast ein Brutkasten angebracht ist. Vermutlich ist der Terzel ein Teil des Brutpaares und wird hoffentlich am diesjährigen Brutgeschehen erfolgreich teilnehmen.

 

COVID-19 bedingt konnten wir leider bei der Auswilderung nicht dabei sein. Dominik hat jedoch ein Video gedreht und so konnten wir ebenfalls Zeuge der erfolgreichen Auswilderung werden. Es ist immer wieder ein toller Moment, wenn ein Vogel, der verletzt in unsere Obhut gelangt war, nach erfolgreicher Genesung wieder in die Freiheit entlassen werden kann.

 

Das ist jedoch nur möglich, wenn alle Hand in Hand zusammenarbeiten. Hier haben Falkner von ODF und DFO Hessen, über Ordensgrenzen hinweg, reibungslos gehandelt. Mitarbeiter der tierärztlichen Klinik und auch die Finderin haben ihr Möglichstes getan, um wieder einen stolzen Wanderfalken zurück in die Wildbahn zu bringen.

 

Es sollte für jeden Falkner/-in selbstverständlich sein, einen verletzten Greifvogel aufzunehmen. Auch wenn er/sie Verletzungen nicht selbst versorgen oder pflegen kann, so besteht immer die Möglichkeit, den Vogel in fachkundige Hände zu bringen.

 

Nur so können wir die majestätischen Vögel auch weiterhin am Himmel bewundern und haben mehr für den Artenschutz getan als mancher Naturschutzbund, der es sich gerne auf die Fahnen schreibt.

 

Bernd Dietze und Veronika Hilse

Falkner/-in ODF Hessen